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Musik

Neue Musik für Orgel und Gesang, die mittelalterliche Themen und zeitgenössische Klänge kombiniert.

Für die Kölner Philharmonie sowie die Murnau-Stiftung habe ich eine Fassung für Orgel, Chor und Solist entwickelt, die bislang vier Mal aufgeführt wurde. 

Zur Konzeption der Filmmusik:
Der Tonfilm verfügt über Sprache, Musik und Geräusche. Bei einem Stummfilm hingegen  muss die Musik versuchen, neben ihren dramaturgischen Aufgaben auch die der fehlenden akustischen Komponenten zu übernehmen.
Im Tonfilm werden längere Pausen der Musik von anderen akustischen Ereignissen gefüllt. Beim Stummfilm aber erzeugt die musikalische Unterbrechung (so sie nicht konzeptionell gezielt eingesetzt ist) ein akustisches Loch: Die Atmosphäre wird zerissen, ein unangenehmes Gefühl der Ernüchterung stellt sich ein. Das Dilemma des Komponisten einer gut 80minütigen Stummfilmmusik ist offenkundig.
So habe ich mich entschlossen, den „Blickwinkel“ der Musik zu variieren, nicht nur dramaturgisch zusammenhängende Sequenzen zu gliedern, nicht einfach die Handlung zu parapharasieren, sondern oftmals kontrapunktisch zu den offensichtlichen Bildinhalten Töne zu setzen, eine eigene „akustische Sinnschicht“ zu schaffen.
So wird etwa die Sequenz des Feuertodes von Jeanne – als eine  Art innere Verbrennung – musikalisch sehr ruhig und mit der Zuversicht der Erlösungsgewissheit eher innig verhalten gestaltet,  klanglich dargestellt durch die Verwendung des Choralthemas „In Paradisum“ („Die Engel mögen dich geleiten zum Paradiese...“) , während sich die Musik beim anschließendem Volksaufstand – eine Art äußere Verbrennung – aggressiv steigert.

Dreyers Film ist nicht gefällig oder leicht konsumierbar gearbeitet: hier wird ein bestimmten Gruppen unangenehmer Mensch, der dazu noch wehrlos ist – ein einfaches Bauernmädchen gegenüber dialektisch geschulten feindseligen Klerikern – systematisch zerstört (die Parallelen zur Passion Christi sind im übrigen unübersehbar).
Die Musik kann daher genauso wenig „angenehm“ klingen: sie ist Ausdruck menschlichen Leidens, weist den Weg in die Passion. Dabei ist Jeannes Tod gleichzeitig der Sieg des Geistes über die Materie: Schlichtheit siegt über Aggression, Einfachheit über komplexe Motorik, harmonische Entspannung über Ballungen aller zur Verfügung stehenden Klangparameter.

Die Besonderheit der Musik liegt in der Kombination von authentischen und/oder verfremdeten Zitaten gregorianischer Choralmelodien, die alle mit Bedacht gewählt sind. Dabei geht die Verarbeitung der präexistenten Melodien grundsätzlich darüber hinaus, dem Film eine „liturgische Musik“ oder gar ein „weihevolles Gewand“ anzupassen; sie wirkt vielmehr als Folie, die für den Hörer in mehreren Schichten „gelesen“ werden kann.
Die meisten Zitate werden ohne ihre ursprüngliche Textierung sowie rhythmisch verfremdet mit der Orgelmusik verwoben. Dabei kann die Musik in einer ersten Schicht als laut oder leise, dunkel oder hell, angenehm oder bedrohlich empfunden werden und hat damit bereits die intendierte Wirkung erzielt !
Auf weiteren in die Tiefe weisenden Ebenen könnte das Zitat entschlüsselt werden und eine Verbindung könnte beispielsweise lauten: düsterer Klang  -- bedrohliche Athmosphäre – Zitat „Dies irae“ aus der Totenliturgie – Sequenz des Requiems mit der Vergeltungs- und Rachethematik – Schreckensvision – spezielle Textzitatstelle „wirst die Welt durch Brand zerstören...“.
Dreyers vollkommen naturalistische Montagetechnik erzeugt eine geradezu spirituelle Bildwelt, die erst auf einer höheren Ebene zu einem sinnvollen Gefüge sich zusammenfügt. Der Film selbst verweist in seiner erzählerischen Struktur auf eine behauptete Transzendenz hinter dem Schicksal der Heiligen.
Die Musik trägt dem Rechnung, indem sie das Ende traditioneller Harmonik kennt und zugleich in der Welt spätgotisch-liturgischer Musik zu Hause ist und somit sowohl den avantgardistischen Gehalt des Films als auch den protestantischen Gehalt des Schicksals einer Ketzerin ernst nimmt.