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Inhalt

Die Handlung

Eine Dame möchte von ihrem Konto Geld abheben, um ein Gemälde zu bezahlen, bekommt aber vom Direktor nichts, weil ihr Konto vielleicht nicht gedeckt ist.
Der Kassierer, ist von der Dame sehr angetan und giert ihr regelrecht hinterher. Im Geiste vergleicht er die mondäne Erscheinung der Fremden mit seiner eigenen kleinbürgerlichen Familie. Der Kassierer steckt sich dann selbst die Taschen voll mit Geld und macht sich auf den Weg zu der Dame, um ihr mit dem Geld auszuhelfen.

Inzwischen ist das Gemälde, ein Frauenakt, bei ihr angekommen. Der Kassierer sieht das Gemälde, was seine Phantasie derart anregt, daß die Dame sich vor seinen Augen scheinbar in die nackte Frau des Gemäldes verwandelt. Er begehrt sie. Sie lacht ihn aus. Sein Geld benötigt sie nicht mehr. Vermutlich ist das Bild inzwischen doch bezahlt worden durch ihren Liebhaber.

Inzwischen wurde das Verschwinden des Kassierers und das fehlende Geld in der Bank bemerkt. Der Kassierer geht nach Hause. Das Familienidyll scheint ihn jedoch anzuwidern. Auch das Gesicht seiner Tochter erscheint ihm plötzlich als Totenkopf. Fluchtartig verläßt er das Haus und rennt durch das Schneegestöber der Nacht in die Großstadt, um seinen Reichtum zu geniessen. Sein Chef, der Bankdirektor und die Polizei nehmen die Verfolgung auf und verfehlen ihn knapp. Die Familie ist entsetzt, als ihnen zu Ohren kommt, was vorgefallen ist.

In der Stadt kauft der Kassierer sich einen neuen Frack und gönnt sich eine Rasur. So aufgetakelt, besucht er ein Fahrradrennen und wettet um Geld., geht in eine Bar, trinkt Cocktails und vergnügt sich mit einer Frau im Séparée. Seine nächste Station ist eine zwielichtige Kellerspelunke, wo mit gezinkten Karten gespielt wird.

Der Kassierer macht mit und gewinnt zunächst. Die Heilsarmee zieht am Fenster vorbei und ein Mädchen nimmt ihn mit aus der Spelunke.
Im Zelt der Heilsarmee bekennt er wie viele andere auch seine Geschichte - fast wie in einem Fieber. So greift er in seine Taschen und wirft das gestohlene Geld in die Menge, auf das sich die Leute begierig stürzen. Dann verwandelt sich das Gesicht des Heilsarmeemädchens ebenfalls in einen Totenschädel. Der Kassierer wirkt verstört, das Mädchen erschrickt und ruft die Polizei herbei. Als die Polizisten ankommen, erschießt sich der Kassierer.
Es ist kurz vor Mitternacht.

Der Film als Zeitkritik (von André Stratmann)

Wie DAS CABINET DES DR. CALIGARI entstand VON MORGENS BIS MITTERNACHT im Jahr 1919/20 und gehört zu den wenigen echten expressionistischen deutschen Filmen. Im CALIGARI standen die entfremdeten, verzerrten Bauten für einen nach außen gekehrten Seelenzustand des Menschen, für Wahnsinn. VON MORGENS BIS MITTERNACHT ist noch konsequenter. Der Hintergrund, vor dem die Schauspieler agieren, ist bloß skizzenhaft angedeutet. Er besteht aus großen schwarzen Flächen mit weißen verzerrten Mustern und schrägen Linien, z. B. wie ein von Kinderhand gemaltes Haus, Treppen, Torbögen etc. Die Muster werden nicht nur auf der spartanischen Inneneinrichtung fortgesetzt (Sofa, Tisch, Herd usw.), sondern auch auf den Kostümen der Darsteller. Sie scheinen oft nur ein Teil der Kulisse zu sein. Selbst die Maske des tragischen Helden der Geschichte folgt diesem Stil: kalkweißes Gesicht, schwarzumrandete Augen, unrasiert. Der Film steht klar in der Tradition der Bühnenschauspielexperimente seiner Zeit.

In VON MORGENS BIS MITTERNACHT steckt Zeitkritik. Es geht u.a. um die Frage nach Reichtum und Armut.
Der beleibte Mann zu Beginn des Films, der viel Geld einzahlt, geht schwerfällig. Er ist die Karikatur des wohlgenährten Kapitalisten, des Kriegsgewinnlers vom vergangenen 1. Weltkrieg. Im krassen Gegensatz zu ihm repräsentiert die obdachlose Bettlerin, die immer wieder auftaucht, Armut und Elend. Der einzige Maßstab des fetten Mannes, der sich mit einem Pagen umgibt, ist das Geld. Er steht so hoch im Rang, daß er sogar vom Bankchef persönlich bedient wird.

Für den ärmlichen Kassierer bedeutet der plötzliche Reichtum die Möglichkeit der Entfaltung aus seiner sozialen Beengung (monotone Arbeit, langweilige Familie). Auf seiner Jagd nach dem Glück wirft er mit Geld nur so um sich. Jedoch verdient er sich damit weder Respekt noch das erhoffte Glück bei Frauen. Sein Ausbruchsversuch scheitert und wird am Ende ein Amoklauf.

Der Film bietet dem Zuschauer nicht die Möglichkeit sich mit den Figuren zu identifizieren. Man erfährt praktisch nichts über ihr Umfeld. Die Schauspieler stellen lediglich einen bestimmten Typus dar (reicher Mann, mondäne Frau, Prostituierte etc.) und sind, wie erwähnt, manchmal nur Bestandteil der Dekoration. Es fällt relativ schwer, der Handlung des Films zu folgen. Zwischentitel kommen, bis auf einen einzigen animierten Titel, nicht vor.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen expressionistischen Drama von Georg Kaiser aus dem Jahr 1912. Ein sog."Stationendrama“, das nicht die klassische Aktform aufweist, sondern aus einer Folge einzelner Szenen besteht. Die Verfilmung ist daran angelehnt. Im Theater uraufgeführt wurde das Stück erst 1917. Karl Heinz Martin, der Regisseur des Films, war einer der führenden Regisseure des expressionistischen Theaters und hatte das Stück zuvor auch mit großem Erfolg auf der Bühne inszeniert.

Seiner Filmfassung blieb eine Uraufführung versagt. Es fanden sich keine interessierten Kinobetreiber. Dennoch muß VON MORGENS BIS MITTERNACHT in einigen Kinos gelaufen sein, weil zeitgenössische Rezensionen vorliegen. Allerdings wurde der Film ziemlich verrissen, hauptsächlich aufgrund des fehlenden Dialogs (bzw. der Zwischentitel), der das originale Schauspiel auf der Bühne so stark gemacht hat. So wurde aus dem „Sprach- und Sprechkunstwerk“ mit dem „Rhythmus von Maschinengewehrsalven“ im Film eine befremdliche Pantomime. Ein paar Jahre später schlüpfte Werner Krauss in einem Radiofeature in die Rolle des Kassierers. Sein Biograph Alfred Mühr beschreibt Krauss’ „polternde“ Stimme und wie es ihm damit gelang, den expressionistischen Stil des Stücks zu gestalten.